SPIEGEL E-Book: Richard von Weizsäcker - Der stille Revolutionär by Klaus Wiegrefe

SPIEGEL E-Book: Richard von Weizsäcker - Der stille Revolutionär by Klaus Wiegrefe

Autor:Klaus Wiegrefe [Wiegrefe, Klaus]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2015-01-31T17:00:00+00:00


Das Gespräch führten die Redakteure Rudolf Augstein, Erich Böhme, Dirk Koch und Henri Zoller.

Der Präsident • „Lassen Sie doch mal den Präsidenten weg“

„Lassen Sie doch mal den Präsidenten weg“

SPIEGEL-Reporter Jürgen Leinemann über das erste Amtsjahr Richard von Weizsäckers

Für einen Juristen und preußisch geprägten Protestanten verfügt Richard von Weizsäcker über ein erstaunlich reichhaltiges Vokabular, um Glück zu beschreiben. Worte wie „Erfahrung“, „Erleuchtung“, „Liebe“, ja „Ekstase“ bietet er auf, auch die Formel „ruhige, innere Gewißheit“, um jenen Moment mit Worten zu fassen, in dem den Menschen „die Wahrheit berührt“. Es ist für ihn ein Augenblick, „der die Widersprüche aufhebt, der Klarheit bringt, der den Menschen in unaussprechlicher Weise eins sein läßt mit dem Leben“.

Am 8. Mai hat Bundespräsident Richard von Weizsäcker Millionen Deutschen ein derartiges Erlebnis beschert. Daß seine Rede zum 40. Jahrestag des Kriegsendes, daß aber auch der Redner selbst für die Deutschen ein „Glücksfall“ seien, steht in manchem Kommentar und in vielen der 35 000 Briefe, die dazu in der Villa Hammerschmidt eingetroffen sind. Sie berichten von Tränen der Erschütterung und davon, daß der Präsident „unser aller Herzen gewärmt“ habe. Ausgerechnet Franz Josef Strauß, der bayrische Ministerpräsident, der in der Vergangenheit seinen Unionskollegen als „ökumenischen Weltbischof“ verspottet hatte, faßte in Worte, was sich auch an der Nachfrage für 650 000 Redeexemplare und einer schnell vergriffenen Schallplatten-Version ablesen läßt: Für die Mehrheit der Deutschen ist mit Richard von Weizsäcker die „Idealvorstellung des Staatsoberhauptes erfüllt“.

Nach einem Jahr Amtszeit also, sollte man glauben, hätte der Präsident selbst allen Anlaß, glücklich zu sein, wenigstens zufrieden. Das ist auch so. Doch erkennen kann man es allenfalls an der lockeren Selbstverständlichkeit, mit der er weiter seinen Amtsgeschäften nachgeht, gleich souverän bei Fernsehdiskussionen mit Schülern oder auf Staatsempfängen. Öffentlich bekennen würde er Glück oder Zufriedenheit nie.

Richard von Weizsäcker würde, sollte er seine Zurückhaltung begründen, wohl Stilfragen vorschieben. Er würde etwa darüber monologisieren, daß solche Begriffe zu privat seien, als daß sie Gemütsverfassungen und Befindlichkeit von Menschen in hohen Staatsämtern angemessen zu erfassen vermöchten. Von Weizsäcker selbst hat sich seine „Augenblicks“-Schwärmerei, bei der freilich das Wort Glück auch nicht vorkommt, nur im Zusammenhang mit der Kunst gestattet, in einer Rede zu Ehren des mexikanischen Dichters Octavio Paz.

Oder er würde sich tiefgründig darüber auslassen, daß für ihn, der das Leben sehr in Fluß sieht, Glück und Zufriedenheit keine Zustände von Dauer seien, sondern flüchtige momentane Verdichtungen. Kurz, er würde jeder politischen Deutung seines Erfolges ausweichen, ganz nach der „Brahminischen Maxime“, mit der er im März beim traditionellen „Ostasiatischen Liebesmahl“ sein Amtsverständnis erläutert hatte: „Laßt den Mann sagen, was wahr ist, laßt ihn sagen, was sich angenehm anhört, und laßt ihn keine unangenehme Wahrheit sagen. Aber laßt ihn auch keine angenehme Unwahrheit sagen.“

Die „unangenehme Wahrheit“ aber ist, daß sich Richard von Weizsäcker jeden Ausdruck von Selbstzufriedenheit verkneifen muß angesichts der unglückseligen Verfassung seines Nachbarn Helmut Kohl. Die läßt seinen Erfolg lediglich wie die strahlende Kehrseite der Bonner Wende-Misere erscheinen, beeinträchtigt jede eigenständige Würdigung.

Es ergrimmt daher den ehrgeizigen und selbstbewußten Präsidenten nicht wenig, wenn in Publikationen von rechts bis links, im



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